Hugendubel - Die Welt der Kinder
dass wir mitfühlen, Rücksicht nehmen und uns auch aufrichtig entschuldigen können, wenn wir etwas falsch gemacht haben. Sie zum Beispiel beim gemeinsamen Eintauchen in Geschichten zu schulen, ist deshalb ein ganz wertvoller Entwicklungsimpuls. Welche Erkenntnisse möchten Sie in Ihren Mutmachbüchern Eltern mitgeben? Ich schreibe meine Mutmachbücher für die Kinder, aber natür- lich nehmen auch die Erwachsenen daraus etwas mit. Ich hoffe, sie finden positive Rollenvorbilder in den Tier-Eltern, die sich verständnisvoll und zugewandt um ihre Kinder kümmern und sich im Zweifelsfall auch mal schützend vor sie stellen. Manche Eltern schreiben mir, dass sie in schwierigen Momenten mit ihren Kindern ganz bewusst versuchen, wie Mama Känguru oder Papa Krokodil zu agieren: ehrlich interessiert, liebevoll und lösungs- statt schuldorientiert. Das berührt mich sehr. Meine Mutmach- bücher enthalten auch alle ein Nachwort, in dem ich mich direkt an die Eltern richte und ihnen Mut mache, sich auf die komplexe Gefühlswelt ihrer Kinder einzulassen, dabei aber auch gut auf sich und die eigenen Bedürfnisse zu achten. Denn nur, wenn wir selbst sicher stehen, können wir unseren Kindern den Halt geben, den sie brauchen. Wie sind Sie zum Schreiben von Kinderbüchern gekommen und wie wählen Sie Ihre Themen für Ihre Geschichten aus? Tatsächlich war Kinderbuchautorin mein allererster Berufs- wunsch, ich habe nämlich als Kind selbst unglaublich gerne gelesen und bewunderte all die Menschen sehr, die mir die wunderbaren Geschichten in meinem Bücherregal bescherten. Später bin ich dann Fachjournalistin und Autorin für Fami- lienthemen geworden. Nach vielen Jahren des Schreibens für Erwachsene reifte in mir der Wunsch, auch direkt für Kinder zu schreiben – auch weil ich meinen eigenen vier Kindern zu gerne vorlese und ich moderne Kinderliteratur einfach ein wunder- bares Schaffensfeld finde. Mit dem Carlsen Verlag habe ich dann den perfekten Partner gefunden. Die Themen für meine Geschichten entstehen im Austausch mit anderen Eltern, aber auch im Alltag mit meinen eigenen Kindern — und in meinem Verlag habe ich ganz wunderbare Ansprechpartnerinnen, die mich dabei unterstützen, dass aus vielversprechenden Ideen dann auch wirklich Bücher werden. Dafür bin ich sehr dankbar. Viele Eltern möchten ihren Kindern helfen, mutiger und selbstbewusster zu werden. Welchen Rat würden Sie geben, um sie bei dieser wichtigen Aufgabe zu unterstützen? Ich glaube, es ist ganz wichtig, dass wir Eltern lernen, unsere Kinder so anzunehmen, wie sie sind. Jedes bringt seine ganz eigene Persönlichkeit mit, und nicht alle sind mutig, stark und selbstbewusst. Das müssen sie auch nicht sein – wir brauchen auch die zarten, schüchternen, zurückhaltenden Kinder. Und sie danken es uns sehr, wenn wir sie nicht zurechtzubiegen versuchen, sondern in ihrer Individualität schätzen. Gleichzeitig tut es natürlich allen Kindern gut, dahingehend in ihrem Selbst- wert gestärkt zu werden, dass sie merken: Meine Eltern sind meine allergrößten Fans. Die finden mich einfach richtig toll, und zwar nicht nur, wenn ich irgendwas besonders gut mache, sondern einfach, weil ich ich bin! Bedingungslose Elternliebe: Das ist der stärkste Selbstbewusstseins-Booster, den es gibt. Können Sie weitere Mutmachbücher empfehlen, die Ihrer Meinung nach besonders wertvoll sind? Ich mag sehr gerne das Buch „Wilma Wolkenkopf“ von Saskia Niechzial, das als Mutmachbuch für Kinder mit ADHS geschrie- ben ist — ein ganz zauberhaftes, sehr liebevoll gemachtes Buch. Auch „Mein Bauch ist ein Vulkan“ von Mildi Karin Sand mag ich sehr. Dieses Buch richtet sich speziell an gefühlsstarke Kinder ab etwa fünf Jahren und zeigt ihnen ganz konkret, wie sie mit ihren großen Gefühlen umgehen können. Ein echtes Lieblings- Mutmachbuch ist hier bei uns zuhause auch „Oje, mein Eis“ von Jana Heinicke, weil es so schön aufzeigt, dass auch Erwachsene manchmal richtige Gefühlsausbrüche haben, und nicht nur Kinder. Dieser Rollenwechsel bringt meine Kinder jedes Mal total zum Lachen — und ich glaube, genau diese humorvolle Auseinandersetzung mit dem Thema Emotionsregulation kann unglaublich stärkend sein. Ihr erstes Kinderbuch „Und was fühlst du, Känguru?“ ist ein wunderbares Mutmachbuch. Was hat Sie dazu inspiriert, sich mit dem Thema „gefühlsstarke Kinder“ auseinanderzusetzen? Ich bin ja selbst Mutter eines gefühlsstarken Kindes und habe mich deshalb seit Jahren intensiv damit auseinandergesetzt, wie diese Kinder ticken und was sie von uns brauchen. Die Ergebnis- se dieser Recherchen habe ich in meinem Buch „So viel Freude, so viel Wut. Gefühlsstarke Kinder verstehen und begleiten“ sowie dem Folgeband „Du bist anders, du bist gut. Gefühls- starke Kinder beim Großwerden begleiten“ veröffentlicht. Beide Bücher wurden zu Bestsellern, das Interesse an diesem Thema ist riesig, und ich bekomme jede Woche viele Briefe von Familien, die sich bei mir bedanken. In diesen Nachrichten an mich kam auch ganz oft der Wunsch zur Sprache, auch mal ein Kinderbuch direkt für gefühlsstarke Kinder zu schreiben — das habe ich mit „Und was fühlst du, Känguru?“ getan und bin sehr glücklich darüber, dass auch dieses Buch so viele Familien erreicht und auf ihrem Weg bestärkt. Woran erkennen Eltern, ob ihr Kind ein „gefühlsstarkes Kind“ ist? Gefühlsstarke Kinder fallen dadurch auf, dass sie von jedem Gefühl und von jedem Bedürfnis nur die Extremvariante zu kennen scheinen. Wie kleine Flummibälle springen sie von größter Freude in tiefste Trauer in wildeste Wut und werden dabei von ihren eigenen großen Emotionen oft völlig überwältigt. Gefühls- starke Kinder sind oft sehr neugierig und bewegungsfreudig, haben einen starken Gerechtigkeitssinn, einen verhältnismäßig geringen Schlafbedarf und sind unglaublich hartnäckig, unge- duldig und fordernd. Sie sind extrem empfindsam, extrem wild und extrem empfindlich gegenüber jeder Form von Kritik — eine explosive Kombination, die Eltern ganz schön herausfordern kann. Doch vor allem sind gefühlsstarke Kinder ganz normale Kinder, die gern spielen, lachen und eine gute Zeit mit uns haben wollen. Sie brauchen dabei nur emotionale Unterstützung und Co- Regulation von uns Großen, und das über viele Jahre. In Ihrem zweiten Buch „Was weinst du denn so viel, kleines Krokodil?“ schreiben Sie: „Auch wenn Tränen traurig scheinen: Sie machen stark, wenn wir sie weinen.“ Können Sie uns erklären, wie und warum gerade Bücher die emotionale Entwicklung von Kindern begleiten und unterstützen können? Gemeinsam Bücher anzuschauen und zu lesen schafft wertvolle Bindungsmomente, in denen Eltern und Kinder in Austausch kommen: Fühlst du dich auch manchmal so unverstanden wie das kleine Känguru, so traurig wie Juli Krokodil? Was brauchst du dann? Die Emotionen in den Gesichtern von Bilderbuchfiguren zu lesen und gemeinsam zu entschlüsseln, stärkt die Feinfühlig- keit und Empathiefähigkeit von Kindern und hilft ihnen, die so genannte „theory of mind“ zu entwickeln – also die Fähigkeit, einen Perspektivwechsel zu vollziehen und sich in eine andere Person hineinzuversetzen. Diese Fähigkeit ist die Basis dafür, „Auch wenn Tränen traurig scheinen: Sie machen stark, wenn wir sie weinen“ „Gemeinsam Bücher zu lesen schafft wertvolle Bindungsmomente“ Nora Imlau | Lisa Rammensee Was weinst du denn so viel, kleines Krokodil? Carlsen | 26 S. | 10,— € Ab 2 Jahren | 100 Lesepünktchen Gefühlsstarke Kinder Exklusiv-Interview mit Nora Imlau Die Autorin Nora Imlau führte den Begriff der gefühlsstarken Kinder ein und macht sich in Vorträgen und Workshops für ein bindungs- und beziehungsreiches Familienleben mit Kindern aller Temperamente stark. NORA IMLAU geboren 1983, ist Journalistin und Fachautorin für Familienthemen. Gemeinsam mit ihrem Mann und ihren vier Kindern lebt sie in Süddeutschland. Sie schreibt u. a. für die Zeitschrift ELTERN und hat viele Sachbücher, wie mehrere SPIEGEL-Bestseller veröffentlicht. Auf Social Media folgen ihr über 80.000 Menschen. © Maria Herzog Die Buchempfehlungen von Nora Imlau 23 22
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